Der Ritt eures Lebens: Red Dead Redemption 2 im Test (2024)

Nicht jedes Jahr kommt ein neues Spiel von Rockstar Games heraus. Umso größer ist die Vorfreude, aber auch die Erwartung an den jeweils nächsten Titel des Grand Theft Auto-Entwicklers. Mit Red Dead Redemption 2 erzählt nun die Vorgeschichte von John Marstons Abenteuer von 2010.

Dieses Mal steige ich aber nicht in den Sattel des einsamen Revolverhelden, sondern in den eines Mitglieds der berüchtigten Van der Linde-Gang – einer Bande von Gesetzlosen, die sich selbst als "Familie" bezeichnet. Ganz nebenbei schafft es Rockstar, die vielleicht beste Story der Studiolaufbahn zu erzählen.

Auf der falschen Seite des Gesetzes?

Nicht jeder möchte einen Gesetzlosen spielen. Die sind zwar häufig der Held ihrer eigenen Geschichte, für alle anderen jedoch der Bösewicht. Arthur Morgan sieht sich selbst nicht als guten Menschen. Als rechte Hand des gesuchten Verbrechers Dutch van der Linde weiß er sich nur mithilfe von Gewalt, Mord und Raubzug durchzuschlagen. Dabei versucht die Van der Linde-Gang zumindest so etwas wie einen Ehrenkodex zu wahren und keine Unschuldigen auszubeuten. Trotzdem pflastern Leichenberge ihren Weg durch das Amerika des Jahres 1899.

Der Ritt eures Lebens: Red Dead Redemption 2 im Test (1)

In der Rolle von Arthur Morgan raube ich also an der Seite meiner Waffenbrüder- und Schwestern Banken aus, überfalle Züge und morde mich durch die Kopfgeldjäger und Gesetzeshüter, die mich zur Strecke bringen wollen. Das bedeutet jedoch nicht, dass Arthur nicht oft genug die Wahl hat, was für ein Mensch er sein möchte. Ich entscheide, wie sehr Morgan seinem Ruf als Gesetzloser gerecht wird.

Das reicht von kleineren Entscheidungsmomenten in der Hauptstory bis zu zufälligen Bekanntschaften in der offenen Spielwelt von Red Dead Redemption 2. Verschone oder ermorde ich kaltblütig die Geiseln, die ich während eines Überfalls genommen habe? Reiche ich einer hilfsbedürftigen Person die Hand oder überlasse sie ihrem Schicksal? Mein Verhalten wirkt sich nicht nur auf die "Ehre" von Arthur Morgan aus – und damit, wie NPCs auf ihn reagieren – sondern schlägt auch in der Geschichte spürbare Wellen.

Das bedeutet jedoch nicht, dass die wenigen Entscheidungen den Verlauf der Story maßgeblich beeinflussen: Rockstar Games erzählt mit Red Dead Redemption 2 eine durchgetaktete Geschichte, die für den Spieler einen festgelegten Pfad vorsieht – und das ist auch gut so. Denn die fällt so emotional, spannend und teilweise sogar episch aus, dass man sporadische Entscheidungsmöglichkeiten gar nicht vermissen braucht.

Der Ritt eures Lebens: Red Dead Redemption 2 im Test (2)

Die Gang kennen, lieben und hassen lernen

In der Rolle von Arthur Morgan erlebe ich mit, wie die Van der Linde-Gang noch vor den Geschehnissen von Red Dead Redemption langsam, aber sicher, zerfällt. Ohne zu viel zu verraten: Arthurs Verbündete werden in den letzten Stunden von RDR2 nicht mehr dieselben Personen sein, die ihr zu Beginn des Spiels kennenlernt. Über die Kampagne hinweg wandelt sich also nicht nur der Charakter von Arthur Morgan – was die Geschichte umso intensiver und lebensnaher macht, als in sämtlichen Spielen von Rockstar Games zuvor. Am Ende von Red Dead Redemption 2 ist mir Arthur Morgan mehr ans Herz gewachsen, als John Marston im ersten Teil der Reihe.

Dafür war aber auch genug Zeit vorhanden: Die Story von Red Dead Redemption 2 wird euch etliche Spielstunden unterhalten – und zwar auf höchstem Niveau: Zwischen Banküberfällen und dem knallharten Eintreiben von Schulden bleibt immer noch Zeit für einen Angelausflug mit John Marstons Sohn Jack oder der besten Sauf-Mission, die ich jemals in einem Videospiel erlebt habe. Gerade in den ruhigeren, emotionaleren und vor allem menschlicheren Momenten hatte ich schon ein paar Tränen in den Augen.

Als Paradebeispiel dafür fällt mir die erste Party ein, die die Van der Linde-Gang nach der Rückkehr eines verloren geglaubten Kameraden feiert: Im Camp singen, tanzen und trinken die Mitglieder der Bande miteinander, bei denen ich selbst entscheiden kann, wie sehr sich Arthur an den Feierlichkeiten beteiligt – vielleicht ja auch gar nicht. Unter Sternenhimmel bei Lagerfeuer lerne ich aber so sämtliche Facetten von Arthurs Mitmenschen kennen und wie sehr sie sich leiden können – oder auch nicht. Eine unvergleichbar lebensnahe Szene, die ich in dieser Form nur selten in einem Videospiel gesehen hab.

Der Ritt eures Lebens: Red Dead Redemption 2 im Test (3)

Viel (zu viel) zu tun

Bei meinem ersten Durchlauf benötigte ich um die 50 Stunden, um nur die Story von Red Dead Redemption 2 zu absolvieren. Dabei sollte man nicht außer Acht lassen, dass viel Spielzeit in das Reiten von Punkt A nach B fließt. Das ist jedoch nicht als Kritikpunkt zu verstehen: Beim Durchqueren der Karte sollte sich jeder die Zeit nehmen, die unglaublich detaillierte und wunderschöne Spielwelt zu studieren – und sich darin zu verlieren.

An jeder Ecke gibt es etwas zu Entdecken oder zu Bestaunen – sei es ein Sonnenuntergang über dem Panorama der Wildnis Amerikas oder einfach nur die Fußspuren, die Arthur im Schlamm hinterlässt während Dreckspritzer an seiner Kleidung hängen bleiben. Und wen schon nicht die Natur überzeugt, der kann sich in der Jagd auf die Tiere oder Bewohner von Red Dead Redemption 2 austoben.

So kann Arthur theoretisch jedem einzelnen NPC einen Revolver unter die Nase halten, damit dieser sein Erspartes mit ihm "teilt". In dem ein oder anderen Laden wartet wiederum ein Hinterzimmer, dass einen Überfall mit ordentlich Bares belohnt. Manchmal tut es aber auch einfach nur eine unbeschwerte Unterhaltung, die in einer Saloon-Schlägerei und/oder einer Schießerei endet, der die halbe Stadt zum Opfer fällt. Dabei handelt es sich nur um einige wenige Beispiele, mit denen sich in Red Dead Redemption 2 die Zeit vertreiben lässt. Wer sich hier langweilt, möchte RDR2 gar keine richtige Chance geben.

Der Ritt eures Lebens: Red Dead Redemption 2 im Test (4)

Scharf geschossen

Mit dem Ersparten von... Arthurs Mitmenschen lässt sich nicht minder Sinnvolles anstellen, was Rockstars Detailverliebtheit zu verdanken ist, die seit Grand Theft Auto 5 nicht abgenommen hat – ganz im Gegenteil: Neuen Stiefelsporen, Gravuren am Pistolenlauf, Pomade für Arthurs stetig wachsendes Haar oder eine neue Steppdecke für das Pferd lassen das Herz eines jeden Individualisten höher schlagen. Auch die Gang profitiert von dem Geld, das Arthur in Verbesserungen für das Camp investiert.

So freut sich die Allgemeinheit darüber, dass dank besserer Lebensmittel der Eintopf des Camp-Kochs nicht mehr ganz so miserabel schmeckt – wenn auch immer noch miserabel. Konkret kann Arthur mit einem aufgerüsteten Waffen-Waggon seine Munition vor Ort aufstocken, um damit in die nächste Schießerei zu reiten. Die spielen sich im Übrigen noch besser als im Quasi-Vorgänger GTA 5: Arthur ist ziemlich flink unterwegs und wechselt so viel agiler von Deckung zu Deckung.

Entsprechend funktioniert auch das Schleichen wesentlich besser, was in Grand Theft Auto 5 nur rudimentäres Beiwerk war: Tatsächlich lassen sich so endlich komplette Missionen auf leisen Sohlen absolvieren, ohne dass für das Scheitern das Spiel verantwortlich gemacht werden kann. Nur in geschlossenen Räumen oder begrenzteren Levels kann das Navigieren von Arthur fummelig werden. Da Red Dead Redemption 2 aber hauptsächlich unter freiem Himmel stattfindet, handelt es sich hierbei um Jammern auf hohem Niveau.

Der Ritt eures Lebens: Red Dead Redemption 2 im Test (5)

Euer neuer bester Freund: Das Pferd

Besonders angetan hat es mir die Möglichkeit, beidhändig aus zwei Handfeuerwaffen gleichzeitig zu schießen, die ich auch noch nach Belieben ausrüsten darf: Ob Revolver, Pistolen oder abgesägte Schrotflinte – ich habe die Qual der Wahl. Denn im Gegensatz zu John Marston ist Arthur Morgan kein wandelndes Waffenarsenal mehr, sondern lagert sämtliche Schießprügel im Sattel seines Pferdes.

Und glaubt mir: Wenig wird euch so sehr verletzen, wie wenn euer treuer Gaul nach einigen gemeinsam überstandenen Abenteuern einem Querschläger zum Opfer fällt – und damit ist kein Story-Twist gemeint, euer Gefährte ist den ganzen Spielverlauf über sterblich. Nicht wegen der Ausrüstung, die sich einfach auf ein neues Reittier packen lässt, sondern der Bindung, die neben Arthur auch ihr zu eurem Pferd aufbauen werdet.

Der Ritt eures Lebens: Red Dead Redemption 2 im Test (6)

Bei jedem neuen Release treibt Rockstar die Erwartungen weiter in die Höhe und erfüllt sie – zumindest fast immer. Wenn das nicht an Unverschämtheit grenzt? Red Dead Redemption 2 ist die Fortsetzung bzw. Vorgeschichte von John Marstons Abenteuer, die sich Fans gewünscht haben... und noch ein bisschen mehr. Was sich alles in der Geschichte von Arthur Morgan anstellen lässt, sprengt hier jedoch jeglichen Rahmen. Red Dead Redemption 2 ist vielleicht nicht der Spielplatz, den GTA-Fans bei jedem Release von Rockstar erwarten, dafür aber der Spitzenreiter eines völlig eigenen Genres. Und hierbei fällt mir nahezu nichts ein, was Red Dead Redemption 2 großartig besser machen könnte.

Der Ritt eures Lebens: Red Dead Redemption 2 im Test (2024)
Top Articles
Latest Posts
Article information

Author: Prof. Nancy Dach

Last Updated:

Views: 5993

Rating: 4.7 / 5 (57 voted)

Reviews: 80% of readers found this page helpful

Author information

Name: Prof. Nancy Dach

Birthday: 1993-08-23

Address: 569 Waelchi Ports, South Blainebury, LA 11589

Phone: +9958996486049

Job: Sales Manager

Hobby: Web surfing, Scuba diving, Mountaineering, Writing, Sailing, Dance, Blacksmithing

Introduction: My name is Prof. Nancy Dach, I am a lively, joyous, courageous, lovely, tender, charming, open person who loves writing and wants to share my knowledge and understanding with you.